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Kultur

Durch die Wiederholung wird das, was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und Bestätigten.“ – G.W.F. Hegel.

Glas splittert, Feuerwerkskörper explodieren, Steine fliegen. Der Hass hat ein Ziel und entlädt sich auf den Straßen vor einer Unterkunft von Flüchtlingen. Die Polizei zeigt sich überrascht, unterbesetzt und nicht in der Lage das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen.

Stattdessen exekutiert ein aufgeheizter und teils angetrunkener Mob den allgemeinen Volkswillen oder das was er dafür hält. Flankiert werden die Randalierer von besorgten Bürgern, die um die deutsche Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit fürchten.

Doch der Zivilisationsbruch im Kleinen wurde groß vorbereitet. Mitgefühl und Verständnis gab es vor allem für diejenigen, die sich vor den Fremden fürchten. Irrelevant, ob es jemals das Ziel war, aber nun lässt sich der Zorn nicht mehr bändigen. Die Saat geht auf, der Sturm bricht los. Die Städte heißen heute anders, dennoch gleichen sich die Bilder. Aber ist das, was wir heute erleben tatsächlich dasselbe, wie damals? Oberflächlich betrachtet schon. Niemand kann die Parallelen übersehen, aber die Situation heute ist nicht identisch mit der früheren. Betrachten wir zunächst die Situation in der Bundesrepublik Anfang der 1990er. Die Jubelstimmung der Einheit war bereits verflogen. Im Osten gab es statt blühende Landschaften wucherndes Unkraut auf abgewickelten Industrieflächen. Ein de facto – Einwanderungsland, welches sich nicht als solches begriff und in der Illusion lebte, man könne Menschen in Abhängigkeit von der jährlichen Wirtschaftslage exportieren oder importieren. Doch die innerdeutschen Probleme, waren nichts, im Vergleich zu dem was der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus im restlichen Ostblock anrichtete. Eine historisch beispiellose Implosion der Wirtschaft, gepaart mit einer kriegerischen Renationalisierung von Teilen des Balkans ließ die Menschen aus ihrer Heimat flüchten. Sie kamen in ein Land, in dem die Politiker schon lange vorher verkündet hatten, dass das Boot voll sei.

Doch immer mehr kamen und griffen nach den Rettungsringen, die das Grundgesetz ausgeworfen hatte. Und so kappte man das Seil und führte die Drittstaatenregelung ein. Der Mob fühlte sich bestätigt und ermutigt, doch langfristig dürfte die defacto-Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl tatsächlich die Lage beruhigt haben. Anders als von der Naziszene erhofft, fiel die erneute Machtergreifung aus. Wer sich nicht damit abfinden konnte, ging, wie wir heute wissen, in den Untergrund und musste seinen nationalistischen Mordgelüsten in kleinem Maßstab frönen. Im Kern war die Drittstaatenregelung auch nicht unplausibel. Einem Bürgerkriegsflüchtling kann es tatsächlich egal sein in welches Land er flieht, solange dort Frieden herrscht. Folgerichtig befindet sich auch heute die Masse der Flüchtlinge entweder in halbwegs sicheren Gebieten ihrer Heimatländer oder in den Nachbarstaaten. Und der Rest kann nun mit Verweis auf Dublin III, wieder abgeschoben werden. Und sobald die Flüchtlinge aus den Augen der hiesigen Politik waren, so waren sie auch aus dem Sinn.

Die Annahme man könne Europa mit einer undurchdringlichen Mauer versehen, die die Menschen abhält, war schon immer ein Trugschluss. Ein Fehler der sich nun rächt, da man versäumt hat, sich europaweit auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge zu einigen. Und nun fehlt in einigen Länder der europäischen Peripherie der Wille und oder die Fähigkeit weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Und wer nicht an den Außengrenzen scheitert, dessen Flucht weiter in Richtung Norden wird dankbar zur Kenntnis genommen. Im Ergebnis stehen die Flüchtlinge wieder in Deutschland, es dürften wohl mehr als 800.000 sein dieses Jahr, und damit deutlich mehr als Anfang der 1990er Jahre.

Und hier lässt sich bereits der erste fundamentale Unterschied zu der damaligen Situation konstatieren. Den Politikern gehen die Optionen aus. Die Versuche Auffanglager außerhalb Europas aufzubauen, etwa mit Hilfe ausgewiesener Menschenrechtsexperten wie dem Gadaffi-Clan in Libyen, sind bereits gescheitert. Wer aus populistischen Motiven heraus Abschiebungen und Abschottung forcieren will, muss daran scheitern.

Nun wäre es zu optimistisch allen Politiker eine rationale Handlungsweise zu unterstellen, insbesondere die CSU ist auch für die absurdesten Vorschläge zu haben (Herdprämie, PKW-Maut), wenn sie glaubt, dem Urnenpöbel zu gefallen. Aus diesem Grund ist es von zentraler Bedeutung, dass sich insgesamt der Diskurs in der Gesellschaft verschoben hat. Auch Deutschlands Konservative haben die Realitäten anerkannt und tolerieren es zumindest, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Ein Bundespräsident mit Parteibuch der CDU erklärte, dass der Islam zu Deutschland gehöre.

Zwischen Rostock-Lichtenhagen und Heidenau hat sich das Verständnis über das Wesen der deutschen Nation radikal verändert. Vorstellungen von einer homogenen Kulturnation weichen immer mehr dem Konzept einer (multikulturellen) Staatsnation. Sarazzin, AfD und Pegida mögen in ihren Aussagen und auch in der Masse der Zustimmung dem Bürger der Aufklärung befremdlich erscheinen, sie bleiben aber im Kern nichts anderes als Rückzugsgefechte. Die dort verbreiteten Positionen waren noch vor wenigen Jahren bis Jahrzehnten indiskutabel, weil allgemeiner Konsens.

Auffällig ist ferner, wie sich die Berichterstattung in den Medien verändert hat. Offensichtlich sind sie lernfähig und sich der Verantwortung bewusster als noch vor gut 23 Jahren. Selbst die Bild-Zeitung argumentiert, dass man im reichen Deutschland genug Kraft hat, die Flüchtlinge zu versorgen. Und schließlich warnen Unternehmensverbände davor, abgelehnte Asylbewerber einfach abzuschieben, bevor sie auf ihre Verwertungsmöglichkeit geprüft worden sind.

Dies soll nicht die Vorgänge in Heidenau verharmlosen. Auch sollte man sich nicht der Fiktion hingeben, dass dies ein vorwiegend sächsisches Problem sei. Offenbar ist in der Region eine Art Eigendynamik entstanden. Eine im bundesweiten Vergleich eher rechtsstehende CDU, die monatelange Pegidaproteste, die unseligen Anbiederungsversuche an die geistigen Brandstifter und dazu kommt ein Polizei, die zwei Tage in Folge unterbesetzt und im Wesentlichen tatenlos blieb, haben den Raum geschaffen, der Platz lässt für Pogrome.

Davor ist auch M-V nicht gefeit. Darum gilt es jetzt den Ernst der Lage zu erkennen. Die Flüchtlingsarbeit, die schon seit Jahren (oft eher im Stillen) stattfindet, ist zu intensivieren. Lasst uns nicht vor der Welle des Hasses erstarren, sondern nutzen wir die Bereitschaft der vielen Menschen, egal aus welchen Zusammenhängen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Denn wir müssen begreifen, dass Rostock-Lichtenhagen nicht nur ein Ergebnis eines rassistischen Konsens in der Gesellschaft war. Sondern auch deshalb möglich, weil die antifaschistische Bewegung nicht in der Lage war, zeitnah, entschlossen und schlagkräftig genug zu handeln. Heidenau zeigt, dass auf die Polizei im Zweifel auch jetzt kein Verlass ist. Jetzt geht es vielleicht nicht ums Ganze, aber es geht um das Leben und Gesundheit der Flüchtlinge.